Und auf einmal wurde es still...

Mexiko-Stadt... eine Megalopole, die man vor allem für seine unglaubliche Luftverschmutzung und ihre Überbevölkerung (20 Millionen Menschen in einem Ballungsraum) aus verschiedenen Kanälen kennt. Zu diesen beiden Komponenten kommt noch die hohe Kriminalitätsrate und natürlich das Nachtleben hinzu - denn Ciudad de México steht vor allem nie still und ruht sich nie aus.
Das richtige Leben beginnt hier oft erst am Abend, wenn man sich für diverse Aktivitäten trifft und tanzt und lacht und trinkt und isst und einfach das Leben geniesst. Obwohl vor allem die zentralen schickeren Viertel viele Bäume und natürlich Parks haben, hört man die Vögel nur ganz selten aber spätestens am Sonntag, ganz früh morgens, wenn das Alltagsleben noch nicht in vollem Gange ist. Aber sobald die Stadt so richtig erwacht, wartet man zum Teil sehr lange eine Strasse zu überqueren und Vögel hört man prinzipiell keine. Umso länger der Regen ausbleibt, umso stickiger wird es und die Erleichterung nach einem richtigen Gewitter (welche eine unglaubliche Lautstärke haben können) ist unbeschreiblich. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind je nach Tageszeit so voll, dass man eigentlich weder rein noch raus kann und manchmal wartet man einige Züge bzw. Busse ab, bis man einsteigen kann. 

Am 12. März 2020 fuhr ich ein letztes Mal zur Universität um eine Arbeit für das Trimester abzugeben. Am Rückweg hab ich mir das Taxi zur U-Bahn mit einer Biologie-Professorin geteilt, die mir zum ersten Mal so richtig erzählt, was in den nächsten Wochen in Mexiko-Stadt passieren wird. Während des Gesprächs dachte ich noch daran, wie sehr doch zu diesem Thema übertrieben wird, aber trotzdem hörte ich gespannt ihren Erkenntnissen zu und stieg dann in die U-Bahn in Richtung zu Hause und dachte nicht mehr weiter daran. Am Abend fuhr ich wie gewohnt zur Salsaschule und danach gingen wir alle aus - wir tanzten die ganze Nacht und genossen so richtig die Stimmung. Auch das Wochenende verbrachten wir noch normal mit ausgehen, tanzen, sich mit Freunden zum essen treffen, usw. Es sollte aber das letzte Wochenende sein, an dem wir das tun...

Am Wochenende konnte man bereits die ersten Nachrichten lesen - vor allem waren die grossen Universitäten die Ersten, die ihre Funktionen auf das Nötigste reduzierten, aber auch die grossen internationalen Firmen fingen damit an, erste Massnahmen zu treffen. In der darauffolgenden Woche wurde nun langsam das öffentliche Leben ruhiger und man konnte erste Auswirkungen sehen. Kurz bevor der März sich dem Ende zuneigte, wurde dann auch die Regierung von Mexiko aktiv und beschloss eine 1-monatige Quarantäne - bis 30. April 2020 soll man nun also so viel wie möglich zu Hause bleiben. Nach und nach mussten mehr und mehr Geschäfte schliessen, bis schliesslich das ganze Nachtleben eingefroren wurde und auch Museen, Kinos, Einkaufszentren, etc. ihre Türen schlossen. Immer mehr Firmen schickten ihre Angestellten nach Hause um von dort aus zu arbeiten und immer häufiger hörte man die Worte "Quédate en casa" (Bleib zu Hause!). Man konnte jeden Tag weniger Menschen und Autos auf den Strassen verzeichnen, bis man auf einmal am Morgen aus dem Haus ging und fast alleine war. Plötzlich konnte man die Vögel zu jeder Tageszeit hören weil sowohl der Lärm vom Strassenverkehr fast nicht mehr existent war und auch der Luftverkehr heruntergefahren wurde.
Auch die Nachrichtendienste hier in Mexiko haben nun einen Fokus - COVID-19... leider wird auf andere Themen komplett verzichtet, was mich ab und zu etwas traurig macht, weil es so viel mehr Themen gibt, über die man schreiben und publizieren muss aber naja,... das ist wohl nun unsere Welt. Die Regierung macht nun jeden Abend um 19 Uhr eine Pressekonferenz und informiert über die aktuellen Zahlen und stellt sich den zahlreichen Fragen der Reporter. Manchmal bekommt man beim zuhören den Eindruck, dass dieser Zustand bis Juli dauern wird und auf der anderen Seite ist diese Vorstellung einfach nur surreal - wie soll eine Stadt dieser Grösse mit so vielen verschiedenen Gesellschaftsschichten bis Juli fast stillstehen? Das kann sich hier niemand leisten - wortwörtlich - also wurden immer mehr Stimmen laut die sagen, dass das eigentliche Problem in Mexiko im Endeffekt der Hungertod sein wird und nicht der Virus. Liest man sich diese Berichte aufmerksam durch, wird einem ganz übel - aber es stimmt - die Mehrheit der Menschen in Mexiko lebt von dem, was sie während des Tages verdienen, was heisst, dass sie kein Einkommen haben, wenn sie nicht ihrer Arbeit nachgehen. Natürlich spricht die Regierung viel über die finanziellen Hilfen, die der Bevölkerung zu Gute kommen wird, aber wie wir alle wissen, werden nicht alle von dieser Unterstützung profitieren. Ein anderer Fokus der kritischen Medien ist, dass die Quarantäne ein Luxusgut ist und so die unteren Gesellschaftsschichten weitermachen müssen wie bisher und sich somit infizieren aber nur schwer Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Ist es also ein Teufelskreis? 
Tja, und wenn eine schwierige wirtschaftliche Situation in Mexiko bevorsteht, sind nach wie vor die Drogenkartelle am Klügsten und Schnellsten. In den nördlichen Staaten von Mexiko ist die Armut am stärksten und durch die nahegelegene Grenze zu den USA sind in diesen Gebieten die Drogenkartelle aktivier. In dieser speziellen Situation haben sie also sehr schnell damit angefangen, die Bevölkerung mit Gratis-Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. So sichern sie sich wieder für viele Jahre die Treue der Bevölkerung... nicht dumm oder?

Eigentlich erscheint es mir manchmal unglaublich wie sehr eine Stadt dieser Grösse zum Stillstand kommen kann und das nur mit einem Satz "Quédate en casa hasta el 30 de abril" (Bleib bis 30. April zu Hause). Es sind bis jetzt weder Strafen ausgesetzt worden, noch reagiert das Militär recht extrem - das Militär kontrolliert zwar die Strassen, vor allem in bevölkerungsreicheren Vierteln, und weist die Menschen an nach Hause zu gehen, aber soweit hält sich alles im Rahmen und trotzdem sind die Strassen fast leer und man kann die Distanz von 1.5m leicht einhalten. Erst heute habe ich gelesen, dass Mexiko die schwedische Version von Lateinamerika ist - ob das so klug ist, wenn man sich das Gesundheitssystem hierzulande anschaut, sei dahingestellt - nichts desto trotz lebt man so aber etwas entspannter und mit weniger Druck. Denn wie bereits erwähnt, lastet vor allem auf der simplen Arbeiterschicht der Druck sich irgendwie zu ernähren - würde man also so strenge Ausgangssperren verhängen wie in Österreich, würden wahrscheinlich wirklich mehr Menschen dem Hunger als dem Virus zum Opfer fallen. 

Gott sei Dank verstehen sich meine Mitbewohnerin, Karol, und ich uns sehr gut und arrangieren uns entsprechend, damit auch jeder genügend Platz zu Hause hat. Es wird also jeden Tag Sport und Yoga gemacht, damit wir fit bleiben - zwei Mal die Woche kommt ein Freund von mir vorbei und wir machen unsere eigenen Salsastunden... und so vergehen im Endeffekt die Tage und Wochen ja doch ganz gut. Lesen, Sport, Netflix, usw. Nichtsdestotrotz vermisse ich das geschäftige Leben der Stadt sehr - so viel zu Hause zu sein ist einfach komisch und man gewöhnt sich nur sehr schwer daran. Da es uns aber fast allen so geht, haben wir vor zwei Wochen beschlossen ein Haus in der Nähe von Mexiko-City zu mieten. In einem kleinen Dorf haben wir ein Haus im Wald mit Pool gefunden und dorthin haben wir uns für eine Woche zurückgezogen - wir haben eine Menge Lebensmittel eingekauft und haben so eine Woche mitten im nirgendwo mit lesen, Spiele spielen, essen und ein bisschen Fiesta verbracht. Was für eine unglaubliche Erleichterung das war - eine Woche aus der Stadt raus zu kommen und die Batterien wieder aufzuladen. Vor allem wollten wir aber ein bisschen aus dem Ambiente der Quarantäne raus (obwohl wir dort nichts anderes gemacht haben) - kein desinfizieren und keine negativen Gedanken, einfach nur ein bisschen das Leben und die Umwelt geniessen. 

Yoga am Morgen


So lässt es sich leben...

Das Dorf Tepoztlán
Nach einer Woche sind wir wieder zurück in unsere Wohnungen und haben nun genügend Energie  um auch die nächsten beiden Wochen noch in Quarantäne zu verbringen - wenn es denn dann aufhört... aber wer weiss das schon?

PS.: Die Biologieprofessorin sollte also recht behalten mit ihren Vermutungen, dass in einem Monat nichts mehr so wie vorher sein wird... 



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