Quarantäne a la mexicana

Als ich den letzten Artikel veröffentlich habe, hatte ich wirklich keine Ahnung, dass Mexiko Stadt so schnell wirklich nicht mehr zum Leben erwachen würde. Mittlerweile haben wir Juli und nach wie vor sind 70% der Stadt im Winterschlaf - natürlich gehen die Leute wieder zur Arbeit, der Verkehr ist wieder um einiges angestiegen und auch Restaurants haben wieder geöffnet, aber der Rest (Kinos, Museen, Fitnessstudios, Bars und Clubs) bleibt geschlossen. Aber auch wenn man in ein Restaurant geht, ist nichts mehr so wie es vorher war - es gibt keine Musik, es ist nur jeder dritte Tisch belegt und Sperrstunde ist bereits um 22 Uhr und das nicht nur während der Woche, sondern auch Freitag und Samstag. Diese relativ neue Entwicklung macht aber natürlich nicht wett, was seit April geschehen ist. Nun aber alles von vorne:

Mitte April hat die Regierung von Mexiko verkündet, dass die offizielle Quarantäne bis Ende Mai dauern wird. Zu dieser Zeit sind die Zahlen der Erkrankten jeden Tag geradezu in die Höhe geschnellt und somit wurde jede Woche der Höhepunkt der Pandemie auf die darauffolgende Woche verschoben und das ist so bis Mitte Juni weitergegangen. Gleichzeitig wurden aber auch die Stimmen immer lauter, dass das nicht so weitergehen kann, da die Wirtschaft von Mexiko und somit die untere Schicht in den Städten das nicht überleben wird. Die Nachrichten waren wirklich sehr deprimierend im Monat Mai und vor allem merkte man die Spannung immer deutlicher in den Strassen von Mexiko Stadt - man sah mehr Menschen, die offensichtlich auf der Strasse leben und auch nachts war es auf einmal nicht mehr ganz so sicher nach 22 Uhr. Gut, es gab vor allem im Mai auch keinen wirklichen Grund nach 22 Uhr noch unterwegs zu sein weil sowieso alles zu hatte, aber trotzdem war es ein komisches Gefühl wenn man dann doch einmal später am Nachhauseweg war. 

Neben den ganzen negativen Auswirkungen, die man von Tag zu Tag immer mehr spürte in der Stadt, gab es aber auch einige schöne Effekte. Zum einen haben wir (3 Spanier, 1 Deutsche, 1 Mexikaner und ich) wirklich lustige Nächte zu Hause verbracht, mit reichlich selbst gemixten Cocktails, gutem Essen und Brettspielen und so wurden aus 6 flüchtigen Bekannten, die sich ab und zu beim ausgehen trafen, wirklich gute Freunde. 

Siedler von Catan wurde zum neuen Freund

von links nach rechts, angefangen beim Fotografen
 --> Ari, Marie, Sara, Miguel, Meme, ich und Jorge

Neben unseren nächtlichen Aktivitäten waren wir auch tagsüber ein bisschen aktiv... wir haben verschiedene Stadtteile erkundet und wirklich eine Menge Sport gemacht. Das Wichtigste war aber, dass wir uns so nicht ganz so eingesperrt fühlten und die Sonne so gut es geht geniessen konnten. 

Coyoacán

Chimalistac

Coyoacán

Recht viel mehr konnte man zu dieser Zeit auch nicht machen - und auch jetzt ist noch nicht recht viel mehr möglich und so wie es aussieht, wird das noch bis Ende des Jahres so bleiben. 
Was ab Mitte Mai und Juni noch dazukam war, dass die Leute natürlich wieder anfingen mehr rauszugehen, weil es natürlich niemand zu lange aushalten kann, nur zu Hause zu sein. Also stiegen auf einmal die täglich registrierten Fälle extrem an, was den kompletten Kollaps der Krankenhäuser zur Folge hatte. Gut, ich glaube, dass hier allgemein niemand ins Spital geht im Moment, wenn es nicht wirklich nötig ist, aber trotzdem war es für viele Menschen eine weitere Sorge im Alltag. Was natürlich sehr verwundernd war, dass es auch so publiziert wurde - dass die Spitäler keine Menschen mehr aufnehmen konnten - weil normalerweise wird eher sehr wenig publiziert ausserhalb der offiziellen Zahlen, aber auch den Informationen, die über die Regierung veröffentlicht werden, kann man nicht 100%ig trauen, da sie doch meistens sehr verschönert werden.

Was sich in der Quarantäne ebenfalls verschlimmert hat hier, ist die Gewalt gegen Frauen. Mexiko ist allgemein für die täglich hohen Mordraten bekannt, aber während der Quarantäne hat sich das noch einmal verschlimmert. Allein in der Hauptstadt sind die täglichen Notrufe um 20% gestiegen. Leider gibt es von den wirklich gewalttätigen Regionen im Norden des Landes keine offiziellen Zahlen dazu. Man kann sich nur vorstellen wie es dort sein muss, wenn man bereits in einem der modernsten Teile des Landes solche Anstiege verzeichnet.

Im Juni wurde dann die offizielle Quarantäne beendet und so mussten die Menschen wieder ihren Tätigkeiten nachgehen, was natürlich zu einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen geführt hat. Gemeinsam mit dem Beenden der Quarantäne, hat man die Massnahmen für den Eintritt in Supermärkte, Gemüsemärkte, Restaurants und allgemein den Eintritt in Geschäfte strenger gemacht - ohne Mundschutz kann man nichts betreten und zusätzlich muss man das angebotene Desinfektionsmittel verwenden und die Temperatur wird gemessen. Auch die grossen Universitäten sagen, dass das konsequente Tragen des Mundschutzes in öffentlichen Räumen die Infektionsrate um bis zu 90% eindämmen kann und deswegen wird das hier so streng verfolgt. 

Und so erlebt man hier diese berühmte neue Normalität, obwohl ich nicht gerade behaupten kann, dass es sich um Normalität handelt. Die ganzen Massnahmen, die man so anwendet hier im Alltag täuschen natürlich auch über den Fakt hinweg, dass sich die Situation seit April nicht einmal annähernd verbessert hat und dass diese Krankheit irgendwie wie ein Damoklesschwert über der Stadt hängt. Würde man nicht die kritischen Medien verfolgen und lesen, würde man eigentlich gar nichts merken, weil die Strassen mittlerweile wieder fast genauso geschäftig sind wie vorher und weil die Menschen natürlich auch keine Lust mehr haben, alleine zu Hause zu bleiben. 

Alles zusammen ist natürlich eine sehr schwierige Situation und wirft natürlich eine Menge Fragen auf, wie zum Beispiel, ob man die Quarantäne zu früh eingeführt hat und ob man sie strenger verwirklichen hätte sollen. Aber im Endeffekt weiss ja niemand, was das Beste gewesen wäre - das werden wir wohl erst in einem Jahr so richtig begreifen können.














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