Guatemala Hurricane Relief mit All Hands and Hearts - Teil 1

4 Monate sind mittlerweile seit meinem ersten Arbeitstag vergangen und hätte ich im Vorhinein gewusst mit welchen Herausforderungen ich konfrontiert werde, hätte ich mir das wahrscheinlich zweimal überlegt. Da man aber im Vorhinein nie wissen kann, was so passieren wird, mussten wir wirklich einfach jede Herausforderung annehmen und das Beste daraus machen.

Das System der Organisation läuft prinzipiell so: Nach einer Naturkatastrophe wie einem Hurricane wird ein Evaluierungsteam (PDT) in die betroffene Zone geschickt um festzustellen ob ein Projekt realisiert werden kann. Falls diese Bewertung positiv ausfällt, wird nach und nach ein Projekt aufgesetzt, was normalerweise ein Prozess von 3 bis 4 Monaten ist. Während dieser Phase wird das Projekt soweit vorbereitet, sodass das Projektteam selber (in welchem ich arbeite) das Projekt realisieren kann. Im Fall von Guatemala wurde vom PDT Team leider die Mehrheit unterschätzt. Weswegen wir bis heute damit beschäftigt sind uns an die Gegebenheiten in Chisec und Umgebung anzupassen, aber auch Fehler im Design selber und in der Realisierung sorgen bis heute für tägliche Schwierigkeiten und bringen unsere Architektin im Team an ihre Grenzen.

Mit der Zeit mussten wir auch lernen, dass in Alta Verapaz (das ist der Bundesstaat in dem wir arbeiten) die Uhren einfach anders ticken und prinzipiell nichts so funktioniert wie man das von Europa oder den USA gewohnt ist. Das fängt bei Lieferzeiten an und hört bei Qualitätsstandards wieder auf. Hinzu kommt dass Importationen so kompliziert sind, dass wir noch immer auf ein paar wichtige Teile warten, um die Gebäude, die wir bauen, hurricanesicher zu machen. Um zu veranschaulichen was damit gemeint ist, hier eine kleine Liste:

  • Sand und Schotter kommt eigentlich fast nie in der Menge an, in der wir es bestellt haben und benötigen würden
  • das Bauholz wurde unbehandelt geliefert (obwohl es anders bestellt wurde) und hatte somit bereits nach wenigen Tage Lagerzeit Termiten
  • Wasser, welches wir für den Beton benötigt haben, wurde ohne uns Bescheid zu sagen, aus dem örtlichen Fluss abgepumpt und konnte so nicht verwendet werden (ein glücklicher Zufall hat uns darauf aufmerksam gemacht und so konnte schlimmeres verhindert werden)
  • Löcher für das Fundament, die von Hand gegraben wurden, wurden über Nacht durch starke Regenfälle so beeinträchtigt, dass am nächsten Morgen wieder von vorne angefangen werden musste
  • unzählbare Lieferverzögerungen haben zu einer generellen Verzögerung des Projekts geführt
  • allgemein mussten wir nach und nach lernen, dass Materialtransport in diese abgelegenen Orte viel teurer und komplizierter ist als ursprünglich angenommen
... und die Liste liesse sich noch beliebig weiter führen.

Schon nach wenigen Wochen war also klar für uns, dass das Projekt die Erwartungen in Bezug auf Komplexität und Herausforderung übertreffen wird, aber auch persönlich werden wir immer wieder an unsere Grenzen gebracht. Inmitten dieser Armut zu leben und Lebensmittel- oder Wasserknappheit am eigenen Leib zu spüren, ist etwas sehr befremdliches und nicht jeder nimmt diese persönlichen Herausforderungen an. Umso länger wir in Chisec und Umgebung leben und arbeiten, umso besser verstehen wir auch, dass das Projekt selber nur ein Tropfen auf dem heissen Stein ist und dass so viel mehr getan werden müsste in diesen kleinen Dörfern irgendwo im nirgendwo von Guatemala. Aber die Komplexität der Region hat schon so viele Organisationen an den Rand des Möglichen gebracht, dass nur die wenigsten bleiben und ihre Arbeit fortsetzen... und nun nach 4 Monaten kann ich das auch wirklich gut verstehen.

Nun aber zum Projekt selber: Wir sind in Chisec, einer kleinen Stadt in Alta Verapaz, stationiert und fahren jeden Tag nach Seraxqen und Sesajal, wo wir zum einen die Wasserfilteranlagen installieren und zum anderen das Gemeindezentrum bauen, welches auch als Zufluchtsort während Naturkatastrophen funktionieren wird. Die beiden Dörfer können durch eine sehr schlechte Schotterstrasse erreicht werden, die immer wieder überflutet wird oder generell unpassierbar ist auf Grund des Lehmbodens der durch den vielen Regen unglaublich rutschig und klebrig wird. Eigentlich sind die beiden Dörfer nur 10-15 Kilometer von unserem Hauptquartier entfernt, aber im Endeffekt sind wir zwischen 45 Minuten und 1 Stunde und 15 Minuten unterwegs. Die Fahrt geht ziemlich harmlos los, aber schon nach der ersten Kurve bekommt man einen Eindruck, wie arm die Menschen hier sind. Zur generellen Armut kommt das extreme Wasserproblem - damit meine ich, dass niemand fliessend Wasser hat so wie wir das kennen. Entweder die Frauen müssen für Stunden zum nächsten Fluss wandern um Wasser zu holen oder man muss auf den Regen warten um Wasser über Dachrinnen zu sammeln. Da eine entsprechende Kanalisation für Toiletten überall fehlt, sind Latrinen bzw. Plumpsklos die einzige Möglichkeit und somit ist auch das Grundwasser von entsprechend schlechter Qualität und beeinträchtigt die Gesundheit der Menschen. Die Menschen in den Dörfern wohnen vorwiegend in Holzhütten, die je nach Armut spärlicher oder stabiler sind. Da aber Küchenausstattung unleistbar ist für Meisten, wird nachwievor am offenen Feuer gekocht und je nach Saison wird das Feuer im Haus gemacht und somit wird die Gesundheit der Menschen auch durch den Rauch stark beeinträchtigt. Obwohl man sich wirklich an diese Realität gewöhnt, bringt es einem doch immer wieder zum nachdenken, vor allem wenn die unterernährten Kinder mit ihren zerfledderten Kleidern jeden Tag, wenn wir mit unseren Trucks zur Arbeit fahren, aus den Häusern laufen, uns zuwinken, uns "Buenos dias" zurufen und das wirklich grösste Lächeln im Gesicht haben.

Chisec selber ist ein kleines Städtchen, 2 Stunden von Coban entfernt, in dem es eigentlich ausser Baugeschäften nicht viel gibt. Das Wichtigste für den täglichen (sehr bescheidenen) Bedarf kann am lokalen Markt gekauft werden und seit kurzem gibt es sogar einen kleinen Supermarkt, der ein paar kleine Extras zu bieten hat. Aber nichtsdestotrotz ist alles sehr limitiert und so ist auch unsere Ernährung recht einfach und repetitiv. Um ein paar kleine Extras wie Käse oder Jogurt zu bekommen, muss man also nach Conan fahren. Die Strasse dorthin ist aber recht gefährlich (viele Kurven, schlechter Asphalt der sehr rutschig ist bei Regen und viele Unfälle wegen sehr schlechter Lastwagen und Autos) und so muss man das Wetter immer gut im Blick haben bevor man die Reise dorthin antritt. Da die Mehrheit der Frauen die traditionellen Kleider bzw. deren Tracht trägt, gibt es eigentlich keine Möglichkeit Kleidung zu kaufen in Chisec, also muss man wirklich vorher gut ausgestattet sein weil mit grosser Wahrscheinlichkeit kann das fehlende Stück nicht so einfach gefunden werden. Generell konzentriert sich das Leben der Einwohner in und rund um Chisec auf das Notwendigste und so gibt es auch nur das zu kaufen.

Die Rollenverteilung ist dieser Gegend ist nach wie vor sehr extrem, was dazu führt dass Männer während des Tages auf das Feld gehen und sich um die Grundnahrungsmittel kümmern. Die Frauen hingegen versorgen die Familie mit Wasser, kochen, kümmern sich um das Haus und um die Kinder und um das generelle Einkommen der Familie. Deswegen sieht man am Markt fast ausschliesslich Frauen (mit ihren Kindern und älteren Familienangehörigen) die Waren verkaufen und auch ansonsten sind Frauen extrem präsent im täglichen Leben. Generell habe ich das Gefühl, dass die Frauen in und rund um Chisec bis zum Umfallen arbeiten um die Familie zu ernähren und den Lebensunterhalt zu sichern. Und obwohl Frauen so viele wichtige Aufgaben haben in deren Kultur, sind sie unglaublich unterdrückt... dieses Gedankengut bekommen auch wir zu spüren, denn es wird uns mehr als schwer gemacht unsere Arbeit zu tun. Da 3 Frauen das Projekt leiten, mussten wir am Anfang viel Ablehnung erfahren und auch dieser Fakt hat am Anfang für Verzögerungen geführt. Im Endeffekt kommt nun aber recht viel Gutes daraus hervor, denn viele junge Frauen nehmen sich uns als Beispiel, wollen Gespräche mit uns und wollen wissen wie auch sie das erreichen können. 

Nach all den Herausforderungen kamen wir aber irgendwann an dem Punkt an, an dem wir genügend Kontakte und Leute gefunden hatten, die uns mit all unseren Problemen halfen und noch immer helfen und so fingen die Fortschritte nach ungefähr 3 Monaten in Chisec an sichtbar zu werden. Auf einmal kann man nun wirklich Entwicklung auf den Baustellen sehen und auch die Herausforderungen werden langsam aber sicher kleiner, oder besser gesagt, wissen wir nun endlich was zu tun ist wenn Schwierigkeiten auftauchen. 

Wenn alles gut geht, können wir das Wasserprojekt in Seraxqen in einer Woche beenden und uns voll und ganz auf das Gemeindezentrum in Sesajal konzentrieren, welches nun auch zusätzlich ein Wasserfiltersystem bekommt. Seraxqen hat im Endeffekt auch ein neues Gemeindezentrum bekommen, die Dorfbewohner haben es aber selber in Rekordzeit gebaut und wir haben es mit einem guten Dach versehen um mehr Wassersysteme installieren zu können. Allgemein hat sich die Zusammenarbeit mit den Seraxqenern als wirklich wahnsinnig produktiv erwiesen und so konnte das Projekt ausgebaut werden und im Endeffekt werden sie nun mehr Liter sauberes Wasser zur Verfügung haben, was speziell für die Frauen des Dorfes entscheidend sein wird. In Sesajal ist die Zusammenarbeit etwas schwieriger, aber auch hier haben sich produktive gemeinsame Arbeitsstunden ergeben, welche uns im Endeffekt geholfen haben wichtige Etappen des Projekts abzuschliessen. 

Seraxqen

Sesajal von letzter Woche

Und so...

Das Anfangsstadium von Sesajal

Am Weg in die Dörfer..

Auch so hat Sesajal mal ausgesehen
Ein anderer Teil vom Gemeindezentrum

Ein weiterer Blick auf die Landschaft
von Alta Verapaz

Kurz bevor man nach Seraxqen runter fährt


Ein Klassenzimmer in Seraxqen




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