Mittendrin - schockierend und zwiespältig

In Ecuador haben mir 2 Niederländer von den Silbermienen in Potosi erzählt und dass ich es mir unbedingt anschauen soll. Natürlich konnte ich es nicht lassen, ein bisschen darüber zu lesen und so war ich mir lange nicht sicher, ob ich das wirklich sehen soll… im Endeffekt, hab ich mich dazu entschlossen und hab mich für Stunden wie in einem lebenden Museum gefühlt:

Nachdem Gemma und ich uns in Uyuni von den anderen Mitreisenden verabschiedet haben, sind wir in den nächsten Bus in Richtung Potosi gehüpft. Die Fahrt hat 4 Stunden gedauert und war wiederum wunderschön - zuerst die Landschaft, dann der Sonnenuntergang und dann der Sternenhimmel. Potosi liegt auf 4090m und ist somit die höchstgelegene Stadt in Bolivien und auch eine der höchsten weltweit. Erwartet habe ich eine triste und unschöne Mienenstadt - aber dem war nicht so, zumindest nicht das Zentrum. Das war nämlich übersäht von schönen, historischen und renovierten Gebäuden. In der ganzen Stadt dreht sich alles um die Mienen rund um den sogenannten „Cerro Rico“ (übersetzt, reicher Berg) in dem sich die Mienen befinden. So gibt es in dieser Stadt eigens einen Markt an dem die Mienenarbeiter einkaufen - dort kann man legal Dynamit kaufen (ja, ihr habt richtig gelesen), natürlich Cocablätter, 96%igen Alkohol und Quinoa (ist aber zu einem Stein gepresst und man löst es in Wasser auf). Dann kann man auf diesem Markt natürlich noch jegliches Werkzeug kaufen und auch Transportmittel um das Abgebaute auch aus der Miene zu schaffen. Nun fragt man sich natürlich, warum die Arbeiter das kaufen…. und hier die unbegreifliche Antwort: Alle Arbeiter arbeiten für sich selber und sind nicht von einer Firma angestellt - sie können sich die Arbeitszeiten selber einteilen und arbeiten in Gruppen bis max 4 Personen (meistens Familien). Um arbeiten zu können, müssen sie sich alles selber beschaffen… alles was sie abbauen, verkaufen sie dann auf dem Markt und so haben sie ihren Lohn. Was nun noch recht positiv klingt, hat aber viele, viele Schattenseiten… zum einen arbeiten die Menschen dort nur mit Manneskraft und Dynamit und das führt wiederum zu menschenunwürdigen Bedingungen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen wie sie Säcke voll Silber auf uralten Wägen auf teils zerstörten Schienen rausschleppen. Wie man das schafft ohne richtig zu essen für Stunden über Stunden? Coca - ich mein, ich kau oder trink die Blätter auch aber deren Mengen sind unglaublich… sie haben einen Eigrossen Ball in der Wange um auf Trapp zu bleiben. Die meisten Arbeiter bleiben für 8 bis 12 Stunden und länger drinnen in der Dunkelheit, in der Enge und in der dünnen Luft. Früher war das natürlich noch schlimmer aber mittlerweile wird es „besser“ hab ich mir sagen lassen. Die ganzen giftigen Dämpfe, die sie dort Jahrzehnte einatmen, führen dann zu der Tatsache, dass sie bereits zwischen 40 und 50 sterben. Das hält aber niemanden davon ab, auch die Söhne im Alter von 12 Jahren mit in die Mienen zu nehmen. Anders können sie nicht überleben… es bricht einem wirklich das Herz wenn man diese Kinder dort drinnen so hart arbeiten sieht. Es heisst, wer einmal dort zu arbeiten anfängt, der ist für immer gefangen… das erklärt auch warum ein 38jähriger sagt, er arbeitet seit 24 Jahren in den Mienen (aussehen tut er wie 60) und das mit den traurigsten Augen, die ich je gesehen habe. 

Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich glauben soll, dass die Mienenarbeiter fast nichts trinken weil sie sonst nicht mehr so leistungsfähig sind - schliesslich gehört der 96%ige Alkohol zu deren „Nahrungsmittel“ in der Miene. Sie trinken ihn verdünnt mit Säften oder in Shots und das um deren Gott, den Teufel, zu huldigen. Bolivianer sind sehr gläubig und so brauchen sie für alles einen Beschützer - und unter der Erde ist es der Teufel. Das ganze geht natürlich auf die Spanier zurück und hat eigentlich damit angefangen, dass die Spanier eine furchterregende Gestalt wollten für die Arbeiter, die sie überwacht (selber sind sie natürlich nicht da nach unten) und irgendwann hat sich die Gestalt zum Beschützer bzw. Gott entwickelt. 

Wir haben die Führung über das Hostel gebucht wo wir auch übernachtet haben - irgendwie hat mir die Art wie man mir alles erzählt hat gefallen und so sind wir bei einer Frau als Guide gelandet. Wie sich mit der Zeit heraus gestellt hat, ist Lourdes eine Vertraute vieler Mienenarbeiter und sie kümmert sich vor allem um die Jüngeren damit sie zum Arzt gehen im Fall, dass sie nicht ganz zu viele Stunden am Stück arbeiten oder auch damit sie in die Schule gehen. Wir haben ein paar Jungs kennen gelernt, die eigentlich in Oruro studieren und in den Ferien in den Mienen arbeiten um Geld zu verdienen. Lourdes hat uns die ganze Realität in den Mienen sehr gefühlvoll erklärt und man hat gemerkt, wie sehr sie respektiert wird von den Männern. 

Lourdes hat irgendwann bemerkt wie traurig mich das ganze macht und mich nach den Gründen gefragt und als ich ihr erklärt habe wie leid mir das alles tut für die Menschen, hat sie folgendes dazu gesagt: Wir sind stolz auf den Cerro Rico und auf Potosi und auf die Mienen. Sie ermöglicht uns Geld zu verdienen und so müssen unsere Familien nicht hungern. Zumal wir einfach kein anderes Leben kennen und zufrieden sind mit dem was wir haben. Wir bauen hier Güter ab, die die ganze Welt haben will und das macht uns stolz! 

Ich weiss nicht so recht ob ich das alles glauben soll oder wie ich das in meinem Kopf einordnen soll, denn schliesslich existiert ganz klar eine 2-Klassengesellschaft in dieser Stadt. Wie bereits erwähnt, ist die Stadt selber schön und sogar Weltkulturerbe aber es gibt einen Stadtteil nur für die Mienenarbeiter und deren Familien - von oben konnte man den Unterschied sehr genau sehen und Wellblechhütten können einfach kein Weltkulturerbe sein. Sondern ich glaube eher, dass man diesen Stadtteil einfach ausblendet. Ich hatte eher das Gefühl, dass die Mienenarbeiter zu der unteren Schicht gehören und so in einem Vorort in der Nähe des Cerro Rico leben. Und wer da einmal hinein geboren ist, kommt mit grosser Wahrscheinlichkeit nie mehr raus.

Kurz vor unserer Abreise habe ich dann vor einer Schule noch folgenden Satz gelesen: „Un pueblo de hombres educados será siempre un pueblo de hombres libres, la educación es el único medio de salvarse de la esclavitud.“ Was übersetzt heisst, dass nur ein Dorf mit gebildeten Menschen ein freies Dorf sein kann, denn nur Bildung befreit einen von Sklaverei. Ich denke, das beantwortet alle restlichen Fragen….

Nach diesem sehr prägenden Vormittag sind Gemma und ich weiter nach Sucre gereist. In die Wärme… endlich. Dort haben wir uns dann auch getrennt - nichtsdestotrotz haben wir uns abends öfters getroffen. Sucre ist eine sehr schöne Stadt, die den Namen „weisse Stadt“ wirklich verdient hat. Alle Gebäude sind weiss und es ist erstaunlich aufgeräumt und sauber, zumindest in der Innenstadt - die anderen Viertel der Stadt sind natürlich anders aber trotzdem hat kein Stadtteil seinen Flair verloren. Ich habe mich in einem netten Hostel mit Innenhof eingemietet und hab Spanischunterricht genommen um meine Fehler zu korrigieren und mehr Zeiten zu lernen. Und für die Hausaufgaben habe ich mich in die Sonne gesetzt um wieder etwas Farbe zu bekommen. Ich habe es wirklich sehr genossen in dieser Stadt zu sein - und hätte ich nicht meinen grossen Berg vor mir gehabt, wäre ich sicher länger geblieben. 

Nach 4 Tagen habe ich mich mit dem nächsten Bus - dieses Mal über Nacht - auf den Weg nach La Paz gemacht. Die Fahrt war wie immer kein Spass und ich war heilfroh, als ich es geschafft hatte. Wie nicht anders erwartet war La Paz kühl aber während des Tages wird es schön warm und man kann die T-Shirts auspacken. In La Paz hatte ich eigentlich nur ein Ziel - den Huayna Potosi mit 6088m zu besteigen und so meine Reise symbolisch abzuschliessen. Zum ersten Mal überhaupt habe ich bei der Buchung nicht aufs Geld geschaut sondern die Agentur genommen, die die besten Bewertungen im Internet hatte. Als ich mich für die Agentur entschieden hatte, waren die einzigen 2 Hindernisse meine defekte Kamera und mein Durchfall. Die Kamera konnte ich mit dem reinigen des Objektivs wieder zum laufen bringen aber mein Magen? Ich war mir echt unsicher ob ich nicht warten sollte. Aber umso länger ich warten würde umso weniger sicher würde ich mir bei meinem Vorhaben werden. Also ass ich den ganzen Tag nichts als Bananen, trank so viel Wasser wie möglich um mich „durchzuspülen“ und so war ich mir am späten Nachmittag sicher, dass ich am nächsten Tag starten kann.

Und wie das alles so abgelaufen ist, muss ich separat zu Papier bringen… die Erfahrung war einfach zu speziell und einmalig.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Und auf einmal wurde es still...

Guatemala Hurricane Relief mit All Hands and Hearts - Teil 1

Guatemala Hurricane Relief mit All Hands and Hearts - Teil 2